MikeMills TheArchitectureOfReassurance (EXCERPT) from Mike Mills on Vimeo.

Mit einem gewissen Alter erkennt man glaube ich, dass Fantum eine zweischneidige Sache ist. Für gewöhnlich fängt man an, sich wie bei einer Marke über etwas zu definieren. Entweder kann man das dann genau so gut wieder ablegen, oder man wird ein unkritischer Fan, einfach weil man den Wunsch hat sich zu identifizieren und vielleicht sogar ein Teil dessen zu werden. Ich habe in meinem Leben darüber schon einige Enttäuschungen erfahren, teilweise selbstverschuldet, aber auch, weil meine Leidenschaft durch nachfolgendes schnell wieder beendet wurde. Ein bißchen wie bei Versprechen, die nicht eingehalten wurden. So richtig schnell erwacht meine Begeisterung heute jedenfalls nicht mehr. Musikalisch bin ich zwar seit anderthalb Jahren sehr begeistert von der Band Poliça, aber die sind auch einfach unglaublich gut und sprechen mich in vielerlei Hinsicht so stark an, dass selbst ein vom Sound her katastrophales Konzert in Köln meine Euphorie nicht wirklich bremsen konnte.

Bei Beginners wußte ich seit dem ersten Trailer den ich sah, mehr als ein halbes Jahr bevor er in Deutschland ins Kino kam, dass ich den Film sehen will. Und ich habe mir irgendwann die Regel gemacht, dass ich, sobald ich weiß, dass ich einen Film sehen will, ich mich kein Stück mehr mit ihm beschäftige, bis ich ihn gesehen habe. Das bewahrt einen davor voreingenommen zu sein, oder den Film von Anfang an aus der Perspektive eines anderen zu sehen, oder vielleicht sogar auf etwas zu warten, was man schon gelesen hat. Diese Taktik kann ich jedem nur empfehlen.
Beginners lief auch tatsächlich kurzzeitig im Orginalton im Kölner Off-Broadway und meine hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil. Der Film hat mich voll erwischt.
Ich müßte ihn jetzt etwa fünf mal gesehen haben in den vegangenen zwei Jahren und immer wieder wenn ich an ihn denke überkommt mich ein starkes Bedürfnis ihn zu gucken. Diese leise Melancholie der Bilder und der Musik, die Verspieltheit der Erzählung, die Detailverliebtheit, die Aufrichtigkeit der Story und der Gefühle und die Liebe zu den Charakteren gibt mir jedes mal eine Art innere Wärme und Glücksgefühl. Vielleicht ist das bei Drogen ähnlich. Ich bin auch weiter nicht versucht das auszuprobieren, denn es gibt ja Filme wie diesen.

Geschrieben und gedreht wurde Beginners von Mike Mills, der mit der Geschichte um die Beziehung eines Sohnes zu seinem Vater, der sich nach dem Tod der Mutter outet, aber wenige Jahre später an Krebs stirbt, auch ein bißchen seine eigene Geschichte erzählt. Gespielt werden sie von Ewan McGregor, den ich sowieso immer mochte, und Christopher Plummer, der für seine wunderbare, zutiefst menschliche und kein bißchen sentimentale Darstellung des Vaters mit dem Oscar ausgezeichnet wurde.
Mike Mills erzählt mit seinen ganz eigenen Mitteln der Collage, durch die diese Handlung mit einer zweiten Zeitebene verwoben ist, die ein paar Monate nach dem Tod des Vaters liegt. Oliver hat den Verlust noch nicht überwunden, ist aber durch seine Begegnung mit Anna gezwungen sein bisheriges Leben als Sohn seiner Eltern zu hinterfragen, die eine von Distanz gezeichnete Ehe führten, was auch seine bisherigen Beziehungen geprägt hat.

Was Filme angeht analysiere ich mitlerweile sehr gerne. Ich klugscheisse auch und bewerte und habe sogar die Arroganz zu denken „das hätte ich aber anders gemacht“. Bei Beginners ist das nicht so. Er ist für mich perfekt. Absolut großartig. Bei jedem Sehen fallen mir andere Dinge auf und ich freue mich jedes mal neu über andere Szenen. Ich kenne das schon von mir, dass ich bestimmte Filme immer wieder anschauen kann, aber es ist lange her, dass ich das Bedürfnis so stark hatte wie hier.

Ich habe mich weiter mit Mike Mills beschäftigt und zu meiner Überraschung festgestellt, dass ich seinem Schaffen schon sehr oft begegnet bin. Als Grafiker hat er seit den 90ern einige Plattencover gestaltet von Alben, von denen ich auch welche habe und er hat ein paar Musikvideos gedreht, die ich schon früher ziemlich großartig fand. Zum Beispiel It´s Automatic von Zoot Woman, Run On von Moby und eben das großartige halbdokumentarische All I Need von Air, das es schafft in vier Minuten Liebe und Intimität so ehrlich und aufrichtig zu definieren, wie es in der Popkultur nur selten vorkommt. Für Air hat er, neben ganzen vielen Dingen, auch die Dokumentation zu ihrer ersten großen Tour Eating, Sleeping, Waiting, Playing, die ich schon seit Ewigkeiten auf DVD habe, die wirklich sehenswert ist und so viel mehr als eine Tourdokumentation. Vor ein paar Monaten hat Mike Mills ziemlich viele Videos auf seinen Vimeo-Account geladen. Da bin ich sowieso regelmäßg gelandet, wenn ich Beginners geguckt habe. Gestern abend habe ich mir The Architecture Of Reassurance angeschaut. Einen schön verdrehten Kurzfilm über die Identitätsfindung eines Mädchens in einer monotonen Plansiedlung in den USA.

THE HISTORY OF LOVE from Mike Mills on Vimeo.

Dort gibt es auch kurze Videos der Illustrationen aus Beginners. Überhaupt mag ich seinen Stil sehr und er war ein großer Einfluss, dass ich selbst wieder angefangen habe zu doodeln.

Ein einfacher Weg dafür zu sorgen, dass man sich auf Fantum einlassen kann, ohne enttäuscht zu werden, ist, sich eine Band zu suchen, die sich aufgelöst hat und nicht mehr aktiv werden wird, wie Silverbullit. Oder man kann noch sicherer gehen, wenn man jemanden verehrt, der nicht mehr lebt, wie Nick Drake, oder Sparklehorse. Mike Mills hat nach seinem Debutfilm Thumbsucker fünf Jahre gebraucht um Beginners zu realisieren. Aber ich hoffe dann doch sehr, dass er diesmal früher wieder eine Chance bekommt. Mike Mills ist definitiv das Risiko wert enttäuscht zu werden.

 

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